Angst

MARTHA NUSSBAUM: Nach der schönen Definition von Aristoteles umfasst Angst den Gedanken, dass ein bedeutsamer Schaden droht und man es nicht ganz in der Hand hat, ob man den Schaden abwenden kann, entweder für sich selbst oder andere, um die man sich sorgt. Wie man sieht, gibt es eine Menge Dinge, die bei der Angst falsch laufen können. Man kann falsch darin liegen, ob die Bedrohung überhaupt existiert oder wie groß sie tatsächlich ist. Aristoteles gibt das Beispiel einer Maus, die über den Boden läuft, was keine so bedeutende Bedrohung ist. Angst ist nicht nur ein subkognitiver Vorgang. Sie hat zwar Elemente, die rein physiologisch sind, aber in jeder komplexeren Situation umfasst sie auch kognitive Elemente. Würden wir nur in unserem evolutionären Erbe feststecken, könnten wir die Vorstellung eines Feindes gar nicht bilden. Was sollte das denn sein? Sogar bei den meisten Tieren hat die Angst kognitive Elemente. Ihre Gedanken haben Inhalt, sie haben einen rudimentären Begriff davon, was gut oder schlecht für sie ist. Angst hat einen kognitiven Inhalt – also kann sie auch in die Irre gehen.

Die Geschichte vom Hammer

Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Aber vielleicht war die Eile nur vorgeschützt, und er hat etwas gegen ihn. Und was? Er hat ihm nichts angetan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von ihm ein Werkzeug borgen wollte, er gäbe es ihm sofort. Und warum sein Nachbar nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen ausschlagen? Leute wie der Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet der Nachbar sich noch ein, er sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht’s ihm aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch noch bevor er “Guten Morgen” sagen kann, schreit ihn unser Mann an: “Sie können Ihren Hammer behalten, Sie Rüpel!”

aus „Anleitung zum Unglücklichsein“ von Paul Watzlawick

  1. Wie fühlt sich der Mann im Verlauf der Geschichte?
  2. Wie könnte sich das Gespräch an der Tür entwickeln?
  3. Schreiben Sie einen anderen Ablauf der Geschichte ab „Gestern schon grüßte er ihn nur so flüchtig.“